An manchen Tagen werden die Weichen des Lebens neu gestellt. Unsere Vorfahrin Genovefa überkam an einem Almsommertag ein Mutausbruch. Die Geschichte unseres Naturhotels beginnt genau hier.
Genovefa
Vom Sommer, dem Schicksal und dem Mut, der Berge versetzt.
Genovefa zog ihren Strohhut tiefer ins Gesicht, mit voller Kraft brannte die Julisonne vom stahlblauen Himmel. Träge taumelten zwei Zitronenfalter über die Almwiese, der Geruch von wildem Thymian lag schwer in der Luft. Hier oben auf der Rodenecker-Lüsner Alm sprach die Natur immer schon eine andere Sprache. Rauer, ehrlicher. Noch ein paar Schritte und Genovefa hatte ihr Ziel erreicht: Da stand sie, die windschiefe Runa Alm. Ihren Namen hatte sie von morschen Baumstümpfen bekommen. Nicht schmeichelnd, aber passend zur krummen Gestalt des alten Gemäuers. Schon seltsam, wie etwas so Vergängliches so viele Jahrhunderte überdauern konnte, sinnierte Genovefa. Der Liner-Bauer kam ihr wieder in den Sinn. Er war der Grund für ihren schweißtreibenden Aufstieg. Der Alte hatte gestern nach der Messe verkündet, er wolle seine Alm verkaufen. Zu müde sei er geworden für die Plackerei da oben. Und Genovefa hatte plötzlich diese Unruhe in ihrer Brust gespürt und gefühlt: Hier wartet eine Chance darauf, am Schopfe gepackt zu werden!
Wenn Träume Wurzeln schlagen
Ein kleiner Bergwind strich durch ihr Haar. In der Ferne spielten Kuhglocken ihr uraltes Lied und das morsche Holz unter Genovefas Händen schien zum Leben zu erwachen. „Was soll aus dir werden?", murmelte sie. Die Stimme der Vernunft meldete sich kurz und deutlich und warnte vor Schulden und Entbehrung. War ein Zufall, dass sie mit demselben Tonfall wie Genovefas Vater sprach? Sie war keine kopflose Träumerin. Sie wusste um die Härte des Berglebens. Doch da waren noch andere Stimmen in Genovefas Herzen. Jene mit Träumen und Wünschen und dem unerschütterlichen Gottvertrauen, dass mit harter Arbeit und Zuversicht alles zu schaffen sei. Es war beschlossene Sache. Sie wollte die Runa Alm kaufen und zum Ausflugsziel für Erholungssuchende machen. Sie wünschte, nein! Sie wusste es: Die Leute aus der Stadt würden es hier oben lieben.
Als die lichten Strahlen der Mittagsonne scharfe Konturen in die Idylle schnitten und die Grillen zum Konzert anhoben, machte sich Genovefa auf den Weg zurück ins Tal. Morgen würde sie dem Liner-Bauern ihr Angebot machen. Manchmal muss man das Schicksal beim Schopf packen. Selbst wenn es so unförmig und widerspenstig ist wie ein alter, morscher Baumstumpf – eine Runa eben.